Das Sterntal

(Sage)

Westlich von Willand, am Fuße des Szársomlyó- und des Schwarzen Berges, unter einem Hügelzug befindet sich das Sterntal. Früher war diese Gegend ein verstecktes, bewaldetes Gebiet. Heute ziehen Weinstöcke von den Hügeln im strammen Reihen zu Tal. Sein Name erinnert und an eine uralte Geschichte.

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Einst lebte in dieser Gegend, am Waldrand, in einem Gasthof ein reicher Wirt mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner schönen Tochter. Sie beide waren sehr fleißig, in allem halfen sie ihren Eltern. Die Wirtin stand im Ruf eines Geizkragens, der Sohn war schüchtern, die Tochter hilfsbereit und gutherzig.
Das Gasthaus besuchten viele Gäste, vor allem Weinhändler und Kaufmänner.
Die Reisenden fanden hier nicht nur frische Speisen, sondern auch feinen Rotwein und Nachtherberge. Wenn ein armer Mann oder Bettler dahin verschlagen wurde, brachte ihnen die Tochter aus der Küche immer einige Bissen, die sie in ihrer Schütze den unglücklichen Hungergestalten trug. Ihre Mutter und ihr Bruder tadelten sie oft:

„Was wir mit Mühe zusammengekratzt haben, verprasst di leichtsinnig.“
Der Vater aber nahm seine Tochter immer in Schutz.
„Wir haben auch so genug, missgönnen wir den Bettlern doch einige Scheiben Brot nicht“, sagte er bei solchen Gelegenheiten. Unter den Bettlern verbreitete sich die Nachricht, wie gutherzig das Mädchen ist, so hielten immer mehr Bettler und Krüppel vor dem Gasthof.

Als der Wirt aber starb, wurde das Leben des Mädchens schwieriger. Bald heiratete auch ihr Bruder und seine frischgebackene Frau wollte zeigen, wer im Haus das Regiment führt. Auch sie sah die Wohltätigkeit des Mädchens nicht gern.
„Wenn deine Schwester schon heiraten und endlich aus dem Haus gehen würde!“ schimpfte sie da vor der Schwiegermutter.
Das Mädchen nachtrauerte immer noch ihrem Vater, dachte mit keinem Gedanken ans heiraten. In der Umgebung fand sie keinen zu ihr passenden Mann. Eines Abends, als das gutherzige Mädchen wieder einem einbeinigen Behinderten einige Bissen und Almosen brachte, schrie die frischgebackene Frau:

 „Jetzt ist aber genug! Scher dich fort aus diesem Haus! Komm nie mehr hierher zurück!“
Sie nahm noch den Besen und warf ihn dem Mädchen hinterher.

Ihr Bruder, der vor seiner großmäuligen Frau Angst hatte, getraute sich nicht, seine Schwester in Schutz zu nehmen.

Das Mädchen ging so in den Wald, weil in der Nähe kein Menschenkind wohnte.
Es fürchtete sich sehr in der Dunkelheit, und ging nicht weiter. Unter einem großen Lindenbaum machte es sich aus Gras ein kleines Lager. Legte sich hin, konnte aber nicht einschlafen. Es weinte herzergreifend. Auf einmal entstand eine blendende Helle. Viele Tausend Sternchen fielen vom Himmel und beleuchtete die ganze Gegend. Aus dem Sternenregen trat eine Feenkönigin hervor, nahm die Hand des ängstlichen Mädchens und sprach:
„Hab keine Angst vor mir. Du hast den Armen viel Gutes getan, hast Dir einen Lohn dafür verdient. Aus dir soll eine Fee werden, so kannst du den leidenden Armen noch besser helfen.“

Das Mädchen war überrascht. Sie bewunderte nur die Schönheit und Liebenswürdigkeit der Feenkönigin. Während des Sternenregens stiegen sie schwanengleich in den Himmel hinauf, hinter die Sterne ins Feenreich.
Sie war unsterblich geworden.

Den im Gasthof verweilenden Gästen fielen die Tageshelle und das Fallen der Sterne auch auf. Sie wussten nicht, was sie davon denken sollten. Sie kamen vor den Gasthof und bewunderten diese Naturerscheinung.
Weil sie aber nicht lange dauerte, gingen die Gäste wieder in den Gasthof und nippten weiter an ihrem Wein.

Manchmal, besonders im Herbst, ziehen kleine Sternchen einen hellen Bogen am Himmel. Da sagen die alten Willander immer:

„Irgendwo in der Welt wird jetzt den Armen geholfen. Zu solcher Zeit winkt eine Fee mit ihrem Zauberstab, vielleicht eben die Tochter des Wirtes, und fallen so die vielen kleinen, Funken sprühenden Sterne auf die Erde.“

Im Frühling sprießen aus dem Sternenstaub Schneeglöckchen, die uns ans Mädchen aus dem Gasthof und seine Wohltaten erinnern. Seit jener Zeit blühen unzählige Schneeglöckchen im Sterntal bei Willand.
Wenn wir das weiße Meer der Schneeglöckchen bewundern, sollen auch uns die Armen einfallen, denen auch wir helfen müssen.