Herbert starb mit einundachtzig. In einem Altersheim. Zwei Tage, nachdem er dort untergebracht worden war. Der ehemalige Feldwebel kämpfte monatelang tapfer gegen den Sensenmann. Plötzlich und unerwartet gab er jedoch auf. Solange ihn seine Lebensgefährtin noch zu Hause gepflegt hatte, hatte er durchgehalten. Erst in dem Heim warf er das Handtuch. Beim Aussuchen seiner neuen Bleibe hatte man ihn nicht gefragt. Die Entscheidung fiel hinter seinem Rücken, seine Kinder hatten es so beschlossen. „Glaube uns“, musste er hören, „es ist so das Beste, für uns alle.“ Weil Herbert ein leidenschaftlicher Schachspieler gewesen war, wusste er trotz alledem, dass der nächste Zug der seinige sein würde. Als es dann soweit war, entschied er sich für den Tod. Er wandte der wunderbaren Welt, in der er sich im Stich gelassen fühlte, in der er nur solange Ansehen hatte, solange er noch nicht zum Pflegefall geworden war, den Rücken zu. Solange sein Geld noch verlockend war, war er der beste Vater und Lebenspartner. Solange er noch konnte. Er starb einsam und verlassen. Ohne Augenzeugen. Ohne sich von jemandem zu verabschieden.
*
Der ehemalige Unteroffizier verlor seine Ehefrau kurz nachdem er aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt war. Gott führte ihn gesund nach Hause, aber die Zweisamkeit mit seiner Gattin war ihm nicht mehr lange vergönnt. Mit drei heranwachsenden Kindern blieb er alleine. Jahre später, als seine Liebsten das heimische Nest verlassen hatten, hatte er eine Frau kennen gelernt, die selbst Witwe war. Sie zogen nie zusammen, aber ihre Freundschaft brachte ihnen noch ein paar schöne Jahre. Dann wurde er krank. Es geschah, dass die beste Freundin der Frau diese zu einem Fest mitgenommen hatte, um ihr dort einen neuen Mann vorzustellen. Er war stramm und tüchtig. Im Vergleich zu ihrem Partner voller Lebenskraft. Ein echter Kavalier. Er verdrehte ihr den Kopf. Zwar pflegte sie Herbert noch einige Zeit, aber gedanklich war sie nicht mehr bei ihm. Als seine Kinder, die sie nie wirklich gemocht hatten, die Idee der Heimunterbringung entwickelten, hatte auch sie zugestimmt. Ohne nachzudenken. So kam dann Herbert, der öfter ausgezeichnet worden war und in Russland vier Jahre im Lager durchgehalten hatte, in eine ihm wildfremde und unwürdige Lage. Zu Hause, in Anwesenheit der Frau und der ihm bekannten Umgebung, schöpfte er noch die zum Weiterleben notwendige Kraft, aber im Heim fühlte er sich verraten, ausgenutzt und überflüssig.
*
Herbert ging zu seinem himmlischen Vater ohne ein Testament hinterlassen zu haben. Vielleicht war es seine heimliche Rache. Die Kinder stritten sich noch lange um das Erbe. Es trat erst dann Ruhe ein, als alles verscherbelt war. Die Frau ging leer aus, obwohl sie immer wieder darauf hinwies, dass sie es war, die ihn gepflegt hatte. Der Held der Wüstenkämpfe geriet in Vergessenheit. Wurde ein Stück Erde, die mit der Zeit begrünte.
* Die schmerzliche Einsamkeit, die die Frau eroberte, kam erst später, nachdem der neue Kavalier sie ausgenutzt und fallen gelassen hatte. Während ihrer Beziehung war nie ein Wort über Herbert gefallen. Umso unerwarteter übermannte sie sein Nichtmehrvorhandensein. Ihre Gewissensbisse führten zu körperlichen Beschwerden. Obwohl sie beinahe einen Kult aus Erinnerungen geschaffen hatte, kam sie seelisch nicht mehr zur Ruhe. Selbst ihre Ärzte konnten nicht helfen. Letztendlich endete selbst sie in einem Heim. Ihrer Reue, ihren Klagen boten sich keine offenen Ohren.