1.
Im 18. Jahrhundert machten sich Tausende in den deutschen Ländern auf den weiten Weg, um im Königreich Ungarn ihr Glück zu finden. In der Batschka, im Banat, in der Schwäbischen Türkei legte man Bauernhöfe an, suchte Weinberge, bald hatte man üppige Felder im Hotter, wo unlängst noch Wildnis war. Bald hatte man auch das Weiß der Kirchtürme im Grün der Landschaft. Friedhöfe, Gottesäcker wurden angelegt, nach Jahren zogen die Hochzeitspaare in feierlicher Fröhlichkeit aus der festlich geschmückten Kirche in das Gemeindewirtshaus. Der Alltag wurde mit all seinen Plagen verinnerlicht, mit Tränen in den Augen sang man das althergebrachte Lied „Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr…“, wie auch das schwäbische Liedl aus der alten Heimat „Wo ein kleins Hüttle steht, ist a kleins Gütele, wo a kleins Hüttle steht, ist a kleins Gut. Wo viele Bube sind, Mädle sind, Bube sind, Mädle sind, Bube sind, do ist halt Liebe, do ist halt gut…“.
Den Leuten war’s dann auf einmal, als wären sie noch immer weit weg in der alten Heimat. Die Hochzeitsgäste redeten die Sprache vom Rhein, die Sprache aus Hessen, Bayern, dem Elsaß. Auf dem Tisch die Speisen aus der alten Heimat. Sie redeten noch alle ihr Deutsch, hie und da fiel auch ein ungarisches Wort. Sie lächelten sich zu: die Wagners, Schneiders, die Vogels, die Weinbergers. Das Sehnen nach der alten Heimat hatten die meisten noch in der Seele. Die Jüngeren hatten es in ihrem Blick, daß sie für sich, für ihre Kinder und Kindeskinder eine deutsche Welt an der Donau schaffen wollen. Die Gutsherren, die die Deutschen ansiedelten, freuten sich über die wackeren, fleißigen Bauern.
Mit der Zeit brachte man die ersten Toten mit Glockenklang auf den Gottesacker, sonntags riefen die Glocken die Leute in die Kirche. Die alten Weiber kamen mit ihren schweren, dicken, deutschen Gebetbüchern, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hatten, die Männer suchten sich auf dem Chor Platz, dann erklangen die alten Kirchenlieder:
„Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn!
In Freuden und Leiden ihr Diener ich bin.
Mein Herz, o Maria, brennt ewig zu dir. In Liebe
und Freude, o himmlische Zier!“
Der Samstag war zum Ausruhen, am Sonntag erinnerte man sich an die Jahre, die man für immer am Rhein, in Schwaben, in Bayern und im Elsaß gelassen hatte; ab und zu kam jemand aus der alten Heimat vorbei. Die machten große Augen, als sie die deutschen Siedlungen dort weit im Osten an der Donau sahen. Sebastian Fuchsschwanz aus Schwaben verbrachte zwei Wochen in der Schwäbischen Türkei. „Da steht die Welt nicht mehr lange!“ traf er Sauer Sepp nach der heiligen Messe.
Die deutschen Dörfer dort im weiten Osten wurden immer schöner, Häuser aus Ziegeln und harten Steinen, weite Höhe, Gärten hinter den Häusern, lautes Geflügel, Hühner, Enten, Gänse, Hunde bellten, schöne, kräftige Pferde, Kühe, fette Schweine, auf dem Weinberg die neu gestrichenen Weinfässer mit Rotwein und Weißwein, im Hotter die raschelnden Kukuruzfelder. Das Wogen der Weizenfelder.
„Reich seid ihr hier, wohlhabend!“ meinte Sebastian, bevor er sich auf den Heimweg machte. In den Werkstätten der Dörfer arbeiteten Fleischhacker, Schmiede, Schneider, Schuster, Wagner, Zimmerleute, Maurermeister, Spengler, auch Sattler. Die Angesiedelten traf man auch bald auf den Jahrmärkten. Die Ungarn und Serben guckten ihnen nach und lächelten über die Hüte der Fremden. Die Deutschen trugen schwarze Hosen, ein helles Hemd, eine helle Weste. Ihre Frauen und erwachsenen Töchter hatten bunte Röcke an. Sie schauten sich alles gründlich an, lächelten den Ungarn und Serben freundlich zu. Onkel Wagner setzte sich mit Norbert Koch an einen kleinen Tisch in einem geräumigen Zelt.
„Sehr angenehm hier. Ein prima Wein. Meinst nicht?“
„Echt ungarischer Rotwein.“
„Nicht schlecht.“
„Und die Musik dazu! Mann, oh Mann. Guck mal die Frauen dort in ihren bunten Kleidern! Ihren Halsschmuck mit den Golddukaten!“
„Na ja. Das sind die jungen Frauen der Serben. Aus den Nachbardörfern.“
„Meinste?“
„Schön, daß es diese Mädels da in der Umgebung gibt!“
„Noch ein Glasel?“
„Noch einen Schluck. Wie heißt das Zeug, das so schön klingt?“
„Tambura sagen die Leute. Hört sich gut an.“
„Noch ein Glasel!“
Die Ansiedler gewöhnten sich auch an den Markt, an die lustigen Leute. Nach Monaten brachte man auch aus den deutschen Dörfern Vieh auf den Markt: Kühe, Pferde, auch fette Schweine, Ferkel. Die Serben und Ungarn blieben stehen. Sie guckten sich die Kühe und Pferde der Ansiedler neugierig an. Ein deutsches Wort erlernten sie auch bald:
„Wieviel?“
Der Schmied, der Schlosser und der Tischler boten Werkzeug an, gutes Werkzeug. In den Dörfern der Ansiedler stellte man Lehrer an, Kantorlehrer. Pfarreien wurden gegründet. Die Alten hockten auch hier auf der kleinen Bank vor dem Haus, wie damals in der alten Heimat, sie machten sich immer noch Gedanken.
„Im Traume mache ich mich wieder auf den weiten Weg, komme immer noch durch unser Dorf, dort in Tirol.“
„Wenn‘s nur nicht so weit wäre! Einmal wollte ich noch in das Dorf zurück. Weißt du, in die Kirche. Hören wollte ich nochmals den bekannten Klang unserer Glocke. Einmal noch durchs Dorf, dann hinaus auf den Friedhof.“
„Genau, Adam. Das ist uns nicht mehr gegönnt. Die Ferne! In letzter Zeit kommt mir fast jede Nacht der Bachmann Florian im Traume zu.“
„Der Bachmann?“
„Ja, der Florian. Wissen will er, wie es uns da im fernen Ungarn geht.“
„Das wollen bestimmt viele.“
„Wir hatten aber Sauglück! Meinst nicht?“
„Schon. Glück hatten wir schon. Denk nur an unsere Felder hier im Hotter!“
„Die würden große Augen machen, wenn sie unsere Felder und Wiesen sehen würden. Unseren Weinberg mit den vollen Kellerhäusern!“
„Gewiß!“
„Bestimmt! Aber unsere Leute trifft der frühe Morgen schon im Hotter.“
„Denk nur daran, was unsere Leute jetzt bei diesem warmen Herbstwetter nach Hause schaffen! Mensch, die dort am Rhein haben keine Ahnung!“
Die Dörfer der Angesiedelten wurden immer wohlhabender. Sie stifteten steinerne Wegkreuze, die im Hotter um ihre Siedlungen aufgestellt wurden, einen heiligen Florian hatte man in jedem Dorf.
Unsere Schwaben waren von 1867 an Bürger der k.u.k Monarchie, ab 1921 dann Bürger des Königreichs Jugoslawien, 1941 wurden das Banat, die Batschka und das Donau-Drau-Dreieck wieder Ungarn angegliedert.
In dieser Gegend sprachen mit der Zeit auch die Schwaben ungarisch und serbisch. Junge Leute redeten nicht mehr von der Heimat ihrer Ahnen. Sie fühlten sich sauwohl, sie wurden auch in die Nachbardörfer zu Hochzeiten eingeladen, zum Kirchweihfest. An manchen Feiertagen wallfahrte jung und alt zu den Gnadenkirchen. Es dämmerte noch kaum, als man aus den nahen deutschen Dörfern Glockenklang hörte. Die Leute machten sich mit ihren Kirchenfahnen, die sich noch aus der alten Heimat mitgebracht hatten, auf den Weg zur Gottesmutter. Die Frauen beteten den Rosenkranz, die Männer sangen alte Kirchenlieder, die Alten suchten mit ihrem Blick das Weiß und Rot der Kirchenfahnen, und es war ihnen wieder, als wären sie in der Ferne, im Schwarzwald auf dem Pilgerweg. Hie und da traf man auch Lutheraner.
Unser schönes Wunderland
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