mein deutschtum

mein deutschtum ist
die rodung im wald
auch sankt iwan bei ofen genannt
mein deutschtum ist das bröckelnde
bauernhaus in leinwar
der friedhof dort
wo dutzende von steinen
meinen
namen tragen
mein deutschtum ist
die alte nachbarin – anna
die mich über hexen und berggeist
aufklärte
mein deutschtum ist
der hotter und sein duft
das kohlenrevier
wo vater jeden tag in die grube stieg
und von mutter zitternd mit
schmalzbrot und glückauf
verabschiedet
mein deutschtum ist die schule
wo ich in der pause nur ungarisch
sprechen durfte
aber auch die wöchentlich zwei
stunden muttersprache
mein deutschtum ist das
graner gymnasium
wo ich ungarischer dichter
werden wollte
das germanistische seminar
budapest und leipzig
mein deutschtum ist die kirche
in der ich zur ersten kommunion ging
der priester der mich die alten griechen und römer
lehrte
mein deutschtum ist der
zögernde novizenanwärter der piaristen
mein deutschtum ist
aber auch der bolschewistische
zum sozialdemokraten avancierte
dann kommunistische und wieder
zum sozialdemokraten abgestempelte
grossvater
mein deutschtum ist
klopstock und lenau
marx
und auch puschkin
dessen verse die russische
grossmutter an friedlichen abenden
vorlas
mein deutschtum ist
der gutmann geheißene urahn
der hergelaufene
von dem man nicht weiss
ob sein deutscher Name echt ist
mein deutschtum ist der ungarische
freund der kindheit
der lehrer
der petőfi und arany
mich lieben lernen ließ
mein deutschtum ist babits und
sein gartenhaus in esztergom
mein deutschtum ist illyés ja auch illyés
und nicht zu vergessen auch hauptmann in agnethendorf
mein deutschtum ist joyce und sartre
der eiffelturm
und das brandenburger tor
das oktoberfest und die finnische sauna

mein deutschtum
hört ihr
hat einen weltpass.

Budapest, Dezember 1988