Abschied vom Kolonitsch

Eines Morgens trafen wir uns unterwegs zur Arbeit. Wir beide hatten es eilig, damit wir noch rechtzeitig bei unserer Firma eintreffen.
„Was gibt es Neues in Promontor?“ wandte sie sich an mich die aus der Nachbargemeinde Teting Gebürtige, die sich jedoch auch in Promontor gut auskannte.
„Auf dem Kolonitsch wird eine Wohnsiedlung mit Stockwerkhäusern errichtet“, entgegnete ich.
„Auf dem Kolonitsch? Fast unglaublich! Dort droben auf dem Hochplateau?! Die am Kolonitsch, am Bergrücken entlangführende Arany-János-Gasse und die sich parallel damit in tiefer Talesschlucht schlängelnde Peter-Paul-Gasse sind die zwei schönsten im Ort“, behauptete sie.
Ich hörte ihr wehmütig zu, wohne doch selber in der erstgenannten Gasse und weiß es, sehe es, daß dem Kolonitsch die Todesstunde geschlagen hat. Damit erhöht sich wieder die Zahl der Erinnerungen um eine einst liebgewonnene, verschwindende heimatliche Landschaft.
Was war der Kolonitsch?
Der Meierhof steht noch inmitten von ein-zwei Dutzend Waldbäumen. Auch Kiefern gibt es darunter, das Zurückbleibsel der einstigen Vegetation des Bergplateaus. Das Meierhofgebäude ist ein Stockwerk hoch und langgezogen.
Ringsum gibt es Felder. Eine Ackerlandschaft, vielleicht 30, vielleicht 50 Joch.
Seit wann mir die Benennung bekannt ist? Auch das liegt im nebelhaften Schleier der unenträtselbaren Vergangenheit.
Schneebedeckt ist die Landschaft, winterkalt. Der Schlitten zieht Furchen im Schnee. Gezogen werde ich von der Tante Lintschi. Kalt soll es sein, doch wir fühlen es nicht; ich bin doch eingemummt in warme Kleider, ihr ist warm vom Schlittenziehen.
Sie wohnte jenseits des Kolonitsch. Einen Webstuhl hatte sie, da sah ich zu, wie Teppiche gewebt wurden.
Ihr Mann, ein Tischler, ist meines gottseligen Großvaters jüngster Bruder. Seine Tischlergesellen bastelten mir ein Flugzeug. Fünf Pengő zahlte ich dafür von meinem Spargeld. Das konnte am Kolonitsch fliegen, denn auch ein Stück Wiesenland gehörte dazu.
Und Drachen konnten hier steigen! Nicht die Märchengestalten aus den Erzählungen der Lintschi-Tante und der Märchenbücher, nein. Papierne Drachen, die Lintschi-Tante fabriziert hat.
Manchmal – bei günstigem Windgang – gab es eine ganze kleine Armada der schwebenden Drachen. Es ging darum, wessen Drache am höchsten steigen konnte. Wer hatte den längsten und reißfestesten Spagat?
Der Kolonitsch könnte was erzählen …
Er liegt nicht weit von meinem Zuhause. Ein Dutzend Häuser sind bis dorthin, vielleicht etwas mehr, dann erstrecken sich schon breit die Ackerfelder, und unsere Gasse führt häuserlos, in großem Bogen daran vorbei.
Da verfangen sich nicht die Drachen wie zu Hause, wo im Halbkreis ringsum ein Kiefernwald stand.
Vor dem Krieg hatte unsere Gasse und Berg einen eigenen „Hiata“ gehabt. Er war graugrün, fast militärisch gekleidet, und hatte einen dienstlichen „Gehilfen“ gegen Diebe: einen Feldstecher gehabt. Wir nannten ihn einfach Gucker.
Wohin ist das alles verschwunden? Der „Hiata“ (jetzt hat der ganze Hotter nurmehr einen einzigen), der Kleintrommler mit seinen Aufrufen und Bekanntmachungen, die verschiedenen fahrenden Wägelchen, die Sodawasser, Kalk und Melonen aus der weiten Ferne in unsere Gasse gebracht haben! Auch der Schrei des Drahtbinders, Topfflickers und des Glasers sind längst verhallt.
Doch der Kolonitsch blieb! Wogende Kornfelder schaukelte der Wind, und er raschelte im trockenen Kukuruzlaub.
Gegen Westen, in Richtung des Kammerwaldes, von wo der Wind und die Gewitter steigen, gab es eine halbmannshohe steinerne Abgrenzungsmauer des Ackerlandes und einen viel höheren pyramidenförmigen Steinhaufen, der mich irgendwie an eine Kultstätte der als Nomaden bezeichneten Völker erinnerte.
Planiermaschinen haben hier schwer zu schaffen …
Mehrstöckige Hochhäuser sollen hier in den folgenden 80er Jahren entstehen, eine neue Wohnsiedlung.
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Toch wenn i tem Vaschwindn vum Kolonitsch zuaschau, to krampfts mia ums Heaz.
Jiazt siagt ma nau vom Peagruckn ins weiti Land nei, auf tie weiti Tscheplear Insl, aufs niadari Land. To kummar te Hochhäusa hea. Tes is ta Griff to Stodt. An eiserna Griff …
Ta Hotta? Te meahreri hundart Joch Goatn und Weinland zapreckld in Parzölln. Am Kolonitschrand is ta Schwownweg vum Toi hea aufakumma, to san te Leit vom Hottar aufizuas kanga. Vum Ziaglown hea.
In te siepzger Joahn woa tea Ausvakauf ta Koatn. As meisti kheat te Stätlern scho. Peim Rot hams im heirign Joahr te landwiatschoftlichi Opteilung opkschofft. Paut wiads im Hotta, Wochnendhaisa in ta Reihn. Sogoar stockwerkigi Haisar ziangs hoch.
Ti Tiarwöld is a vaschwundn. Voa 30-40 Joahn hama taham peim Haus im Koatn nau vülli Adachsln khod. Te ham si in ta Sunn, auf te woami Staan ksunnt. Koani siagt ma heit.
Im Hotta kipts koani Fasauna meahr. Te vülli Hosn san in a poa Joahn olli vaschwundn. Hundn trampln uma, so traut si koa Hosn ma tohea.
Wos neii Heisa paut ham, to kipts Kotzn. Tie Schwoazamsln, te im Zwetschknpam kwauhnt ham, san niemmameahr. Te ham mi ollweil peim Hockn pekleid, ham tie Wiama aufkfressa.
Ta Fuchs woa tar easchti, tear vaschwundn is. Seid zwanzich Joahn howi koanan meahr ksegn.
An Fleckarl Land is mit tiar, Kolonitsch wiada vaschwundn. An Stick Land, an Stick Erinnarung …
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Von anam Kiaritoch pin in amoi kumma, aus Mariaerichn. Weit woa ta Weg, und ois i in Kolonitsch erreicht how, to woas schon finstari Nocht. Aufang Heapst woas, im laun Septemba.
Miad woari vom kanztägign Zfuaßkein, hob woin optkiazn iwarn Kolonitsch. Stoanigs Wiasnland woa tes, vastraat an poa Hetschedlstaudn.
Auf amoi is tea Eadpodn unta meini Schuahsuin wia loskfoahrn. Poid wari auskrutscht. Poid wari a weitakanga, pin toch zruckkanga anaschaun, wos to eigentlich woa.
Worauf i kstiagn woa, tes woa sunst nix ois a nockata Oasch, owa ta Inhowa des nockign Keapateils hodowa kan anzign Mucksa ksocht, woascheinlich woas an kanz junga Kearl (odar owa ani kanz heimlichi Liapschoft) un tarunta an ebnso nockats Weibsting, lauta weiß in teara laufinstari Maundschein-Nocht …
Tjo, tea Kolonitsch woa ebn a Treffpunkt valiabta Heazn. Vülli Junga ham te Liabschoft to z kostn kleant und so manchi Sex-Stundarln mit Teandln valebt.
Wenn te kaum ois an-zwa Tusend Pam so vazöihn kenntn!
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Der Blick kann noch ungestört weit streifen. Inmitten dieser jetzt so ödgewordenen, brachliegenden Landschaft werden Bodenflächen für zukünftige Stockwerkhäuser hergerichtet. Maschinen arbeiten, verändern das Gebiet.
Ein Stück Ackerland hat seinen Platz abgetreten …