Im Lande, wo
man im grimmigsten Winter die Leute,
aus dem Getto zum Pier hinausgetrieben,
ihre Schuhe auszuziehen hieß,
bevor man sie,
Frauen, Kinder, alte Männer,
mit dem Gesicht zum Wasser aufgestellt,
in die mit Eisschollen flutende Donau mähte,
als in der belagerten Hauptstadt
Gewalt, Furcht, Hunger, Tod
wieherte pausenlos
aus Gewehren und Kanonen,
war ich zehn,
hatte es in der Schule schon gehabt:
dies ist das Land der glutherzigen Dichter.
Im Lande, wo
man Minderjährige wegen Aufruhrs
zum Tod durch den Strang verurteilte, um sie dann
bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag
in der Todeszelle schmoren zu lassen
bis sie mündig, juristisch reif für den Henker wurden,
es lebe der Rechtsstaat,
da war ich sechsundundzwanzig,
hörte sagen,
man lacht wieder viel im Land der Kabaretts.
Im Lande, wo
seine Tochter die sterblichen Überreste
des per Schauprozess ermordeten
und auf dem Schindanger namenlos verscharrten
Ministerpräsidenten
nach dreißig Jahren
(vor Fersehkameras übrigens)
nur noch an den klobigen Wanderschuhen zu erkennen vermochte,
die ihr Vater immer trug, wenn es ins Ungewisse ging,
aus denen Beinknochen ragten,
da war ich fünfundfünfzig,
hoffte, es gebe doch noch einen Weg, der nicht mehr unbedingt
hinauf zum Totemvogel auf der Freiheitsbrücke führe
im Land der Selbstmörder.
Im Lande, wo
zwanzig Jahre nach jener Agnoszierung und der
darauf folgenden
feierlichen Umbettung sämtlicher Opfer der Tyrannei,
ein Künstler, als Mahnmal
die lange Reihe der Schuhe am Budapester Kai
in Bronze gegossen wieder erstehen ließ, wo aber dann eines Nachts
anonyme Hasser Schweinebeine in diese Schuhe steckten,
bin ich fünfundsiebzig geworden,
lebe hier noch,
spare am Essen für die Zigarette,
habe hier verzweifelt geliebt mein zu beweinendes Land.
Im Advent 2009