Odysseus

nach Homer

(Dem Literaturspezialisten und Kunstgeschichtler, meinem Lehrmeister Jochen Haufe gewidmet)

Muse erzähl mir
über den griechischen König
der in den Krieg zog
gegen zu stolze Trojaner
die Frauen raubten
und plünderten reiche Häfen
Ihre Burg lag hoch
breit war die Mauer der Festung
Waffen der Krieger
konnten die Burg nicht zertrümmern
nur List half dem Heer
das hölzerne Pferd aus Balken
ein schlaues Geschenk
es ragte empor wie ein Turm
und glänzte im Schein
als wäre es Sühneopfer
der Göttin der Stadt
im hohlen Körper des Holzpferds
duckten sich Griechen
warteten auf tiefdunkle Nacht
Krieger von Troja
zogen es in ihre Festung
sie jubelten laut
tranken amphorenweise Wein
Als die Trojaner
in tiefen Schlummer versanken
öffneten Griechen
eine Hintertür am Holzpferd
straften schonungslos
den siegessüchtigen Erzfeind

Erzähl mir Muse
wie den Mann das Heimweh quälte
wie er in See stach
auf fremde Meere gelangte
wo Stürme tobten
oft herumgetrieben wurde
und viel duldete
kämpfte mit seltsamen Wesen
mit Zorn der Götter
heim nach dem fernen Ithaka

Troja verließ er
Gefährten begleiteten ihn
mit guten Winden
er schiffte in Richtung Heimat
wo sanft klingt das Wort
doch Götter entschieden anders
jagten den Helden
auf weite fremde Gewässer
ins Unbekannte
Ein Sturm trieb den Schiffer ins Reich
der Lotophagen
süß schmeckten Früchte der Insel
der Krieger aß viel
vergaß dann frühere Zeiten
sein Land die Häfen
Er segelte weiter und traf
bald den Kyklopen
den König sperrte der Riese
in seine Höhle
ihn aber blendete der Held
der blinde Riese
brütete Rache gegen ihn
und seine Gefährten
er wollte alle verzehren
am nächsten Morgen
schob er den schweren Felsen weg
durch eine Spalte
ließ er seine Herde hinaus
die hungrig bähte
jedoch der König gab nicht auf
fand einen Ausweg
sich verbergend in der Wolle
der dicken Schafe
flüchtete er an die Küste
Ein Windgott beschenkte danach
den Vielwissenden
aus Neugier auf Silber und Gold
schnitt ein Mann am Deck
den Sack voller kräftiger Winde auf
die Strafe war schwer:
nur kurz vor der ersehnten Bucht
trieb wütender Sturm
die Schiffe ins endlose Meer
zurück in den Schaum
wo Wellen sich masthoch türmten
Die Männer schluchzten
tiefe Verzweiflung ergriff sie
schrien nach Rache
doch gerieten Krieger zunächst
mit Odysseus
ins Land der groben Giganten
die Menschen fraßen
elf Schiffe wurden vernichtet
nur eins kam davon
Wunden des Helden linderte
Zauberin Kirke
er schlupfte ins flaumweiche Bett
der schönen Göttin
ihr Liebreiz umstrickte ihn sehr
Wollust empfand er
sein nagender Kummer blieb doch
denn seine Freunde
verwandelte sie in Schweine
die schmerzvoll grunzten
ein Stall wurde ihr Zuhause
verschlangen Eicheln
und folgten dem Wort der Peitsche
Odysseus zog
sein Schwert er trank das Gift wie Wein
erschreckte Kirke
befreite die Krieger vom Fluch
Der treue Retter
von brennendem Heimweh gequält
wollte hellaswärts
zuvor schickte ihn die Göttin
zum toten Seher
tief unten im dunklen Hades
Teiresias gab
dem findigen Erdenmenschen
Rat für die Zukunft
Er ging danach weiter und weiter
begegnete alten Freunden
und seiner Mutter
wie Regen flossen die Tränen
im Reich der Schatten
Wunsch nach dem Sohn ihrem lieben
Elend und Kummer
besiegelten einst ihr Schicksal
Nach rauer Gegend
der ewigen Todesstille
schifften die Helden
an den Sirenen vorüber
sie sangen am Strand
ihre weit schallenden Lieder
weich warm betörend
wie Harfen- und Sphärenmusik
lockten den König
auf Felsenklippen der Insel
wo überall Wracks
und tausende Knochen lagen
doch Odysseus
ließ sich an den Mastbaum fesseln
und seine Krieger
verschlossen die Ohren mit Wachs
gefahrlos konnte
er nur den Sirenen lauschen
Sie blickten nach vorn
legten sich voll in die Ruder
unter den Schäumen
hausten ja wilde Geschöpfe
Seeungeheuer
ein Wesen mit vielen Köpfen
und Charybdis
der Schiffe in tiefen Strudel
zog und versenkte
das Herz aller Krieger brannte
im Fieber der Angst
er kämpfte trotzdem im Wirbel
es krachte schrecklich
doch sechs mussten wieder sterben
Skylla war hungrig
Mit knurrenden Mägen sahen
schließlich die Schiffer
die Insel des Sonnengottes
dort weidete Vieh
sie schlachteten seine Rinder
heilige Tiere
die Sünder fielen zum Opfer
der strengen Strafe
im Sturm bis auf den letzten Mann
Gnade erhielt nur
der einfallsreiche Akhaier
Nymphe Kalypso
rettete kühn seine Seele
doch sieben Jahre
hielt sie den Krieger gefangen
Ihn nagte Trübsal
seine Leute fehlten ihm sehr
er baute ein Floß
brach gleich bei früher Ebbe auf
die Sonne schien heiß
bald wiegten ihn kühle Wellen
Gott Poseidon
zerschlug jedoch zornig sein Floß
der Held strandete
an einem verlassenen Ort
Nausikaa fand ihn
nackt im feuchten Sand des Ufers
ihr schilderte er
die Abenteuer seiner Irrfahrt
und seine Prüfung
vom Vater der Königstochter
bekam er Hilfe
ein sicheres Dreiruderschiff
trug ihn nach Hause
harte Hände der Seemänner
brachten den Schläfer
Odysseus weich zum Ufer
und legten ihn ab
Er wachte nicht auf er träumte
und schlief wie noch nie
in seinem Traum wallte Nebel
der ließ sich herab
und wollte nicht mehr zerfließen
dann regte er sich
öffnete weit seine Augen
plötzlich brach Licht ein
grelle Schimmer überstrahlten
Hügel und Täler
dort reiften Feigen Oliven
in grünen Hainen
feinen Dufthauch der Orangen
wiegte der Zephir
heller Spiegel war der Himmel
azurblau im Meer
Taubenscharen flatterten frei
über den Feldern
Hirten spielten auf Flöten
vertraute Lieder
sie trafen sein schmerzendes Ich
und erinnerten ihn
an seine sorglose Kindheit
Jugend und Liebe
sein Herz überlief gleich Wärme
es schlug ihm so schnell
einst geschehene Geschichten
lebten wieder auf
Es roch stark nach Heimaterde
daheim war er nun

Müde Wanderer
die ihr am Ufer vorbeigeht
und Ithaka seht
vergesst so nie Odysseus
sein zähes Ringen
mit bösen Wesen und Göttern
die List des Helden
erzählt nur im Land den Fremden
wie Odysseus
für seine Gefährten kämpfte
und wie der König
als sie starben vor Schmerz verging
vergesst nicht sein Glück
seine Tage auf hoher See
die reichen Mahle
im Kreise seiner Bekannten
die frohen Scherze
woran sich alle ergötzten
erwähnt die Treue
zu seiner Insel dem Busen
mit Fischergarnen
die Sehnsucht nach seinem Daheim

Und wo liegt sein Grab?
Das weiß keine Sterbensseele
Und seine Gestalt?
Die sieht man auf weiten Wegen
wo Feldstaub wirbelt
und Spuren langsam entschwinden
Stimme des Königs
ertönt in Nächten des Herbstes
wenn Sterne fallen
und Sänger die Leier schlagen
Sie klingt in Quellen
und manchmal im sausenden Wind
Sein Geist heißt Freiheit
ein zeitloser Hoffnungsschimmer

2012 (Herbst)